Wirkung von positiven Lastvielfachen
Positive Lastvielfache werden vom Piloten als ein Gefühl größerer Körperschwere wahrgenommen; er fühlt sich sozusagen in den Sitz gedrückt. So ist es bei einer Belastung von +3g fast unmöglich, aus einer sitzenden Position aufzustehen, und bei +8g kann man kaum noch den Arm heben.
Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System
Diese "erhöhte Schwere" beeinflußt aber nicht nur die motorischen Fähigkeiten, sondern auch in besonderem Maße den Körperkreislauf. Bei positiven g-Belastungen herrscht im Blutkreislauf ein entsprechend größerer Druckgradient; um das Blut gegen die Beschleunigungsrichtung vom Herzen nach oben zu fördern, ist damit eine größere Kraft (=Druck) erforderlich.
Eine kleine Beispielrechnung:
Das spezifische Gewicht von Blut liegt bei etwa 1,06 g/cm3; daraus resultiert ein hydrostatischer Druck von 770 mmHg. Bei einem Herz-Augen-Abstand von 30 cm wie bei einer sitzenden Person herrscht damit unter Normalbelastung ein Druckgefälle von 23 mmHg zwischen Herz und Gehirn. Legt man einen mittleren arteriellen Blutdruck von 100 mmHg zugrunde, so kann das Gehirn ab einer Belastung von +4,35g nicht mehr mit Blut versorgt werden; nach einer Sauerstoffreservezeit von etwa 4 bis 6 Sekunden, in welcher der noch gelöste Sauerstoff verbraucht wird, würde unsere Testperson bewußtlos.
Ganz so einfach wie in unserer Rechnung ist es natürlich nicht. So verursacht beispielsweise der höhere Druckgradient eine Aufweitung der Blutgefäße unterhalb des hydrostatischen Indifferenzpunkts, der im arteriellen System etwa auf Herzhöhe liegt: ein Teil des Blutvolumens "versackt" damit in den großen Gefäßen in Bauchraum und Oberschenkeln; der arterielle Blutdruck wird damit zusätzlich vermindert. Andere Faktoren stärken hingegen die Widerstandsfähigkeit. So führt eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns zu einer aktiven Erweiterung der Arteriolen, was eine Verringerung des lokalen Gefäßwiderstands und damit eine leichtere Durchblutung des Gehirns zur Folge hat. Außerdem wird vermutet, daß das abströmende Blut in den oberen Halsvenen die Gehirndurchblutung durch eine Art Siphon-Effekt unterstützt (da das Gehirn im Schädel, einem geschlossenen Druckkörper, in der zerebralen Flüssigkeit schwimmt, bleiben die Druckdifferenzen an den Gefäßwänden minimal, ein Kollabieren der Blutgefäße wird dadurch vermieden).
Obwohl bei der Konstruktion des Menschen Spirenzchen wie hohe Lastvielfache nicht vorgesehen waren, wehrt sich der Körper gegen die Symptome und Auswirkungen. Sowohl Herzfrequenz als auch Blutdruck werden mit zunehmender g-Belastung erhöht (man nimmt an, daß diese Regelung über den Baroflexbogen erfolgt, [2]). Diese Reflexmechanismen greifen einige Sekunden nach dem Beginn der Beschleunigung und bewirken eine effektive Steigerung der g-Toleranz. Über Preßatmung und Anspannen der Bauch- und Beinmuskulatur kann darüberhinaus der Pilot dem Versacken des Bluts in den unteren Extremitäten vorbeugen und so aktiv den negativen Effekten der g-Belastung entgegenwirken.
+g´s in der Fliegerei
Wie oben erklärt, ist der Knackpunkt bei hohen positiven Belastungen die Aufrechterhaltung der Durchblutung im Kopfbereich. Allerdings will nicht nur das Gehirn seinen Sauerstoff haben, auch die Augen wollen versorgt sein. Da das Auge auch noch einen Innendruck von circa 20 mmHg aufweist und in der gleichen Druckhöhe wie das Gehirn liegt, wird es schon bei um etwa 1g geringeren Lastvielfachen nicht mehr durchblutet und stellt schrittweise seinen Betrieb ein. Die Retina wird in erster Linie durch eine Zentralarterie versorgt, die sich dann zur Peripherie hin immer weiter aufteilt; in den feinen Verästelungen ist dann auch naturgemäß der Blutdruck reduziert. Bei steigender g-Belastung werden daher als erstes die Peripheriekapillaren nicht mehr durchblutet. Dabei verweigern zuerst die Farbzäpfchen den Dienst und verursachen einen "Greyout", dann folgen die Schwarz-Weiß-Rezeptoren, was zu einem Verlust des periphären Sehens führt: dem sogenannten Tunnelblick - nach vorne sieht man noch scharf, aber von den Seiten wandert ein Nebelschleier wie eine Art Scheuklappen in das Gesichtsfeld, bis man quasi wie durch ein Paar Klopapierrollen sieht.
Legt man noch ein bißchen mehr auf, klappt auch die Versorgung des Zentralbereichs nicht mehr. Die Folge ist der temporäre Verlust der Sehfähigkeit, bezeichnet als "Blackout". (Anm.: Ich möchte mich hier auf die Auswirkungen der Hypergravitation beschränken; Effekte gleichen Namens unter normaler Erdbeschleunigung, aber vor Untersuchungsausschüssen sollen an dieser Stelle nicht behandelt werden. Beim fliegerischen Blackout bleibt vor allem auch das Denk- und Erinnerungsvermögen noch in vollem Umfang erhalten.)
Hat man immer noch nicht genug und erhöht die g-Last weiter oder hält sie für längere Zeit auf diesem hohen Niveau, bekommt auch das Gehirn nicht mehr seinen erforderlichen Anteil und man schaltet sich endgültig ab: Bewußtlosigkeit oder G-LOC (gravity-induced loss of consciousness).
Wird beim Greyout oder Blackout die g-Belastung zügig auf ein vernünftiges Maß reduziert, so klappt es mit der Durchblutung wieder und das Sehvermögen ist sofort wieder da. Auch beim G-LOC kommt der Pilot nach der Verminderung der Lastvielfachen in Sekundenschnelle wieder zu sich (außer er holte sich seine "g-Keule" in einem Abfangbogen und steckt schon in der Wiese...), hat aber in der Regel einen kompletten "Kurzzeitgedächnis-Reset" - die Fliegerärzte sprechen wohl von einer Phase der Verwirrung.
Diese schöne Abstufung ist für die Kunstfliegerei natürlich günstig: bekommt man die ersten Anzeichen eines Greyouts, so weiß man, daß man an der Grenze seiner Belastungsfähigkeit angelangt ist und kann die g-Last rechtzeitig verringern. Vorsicht ist aber dennoch geboten; man kann sich einen G-LOC auch ohne jede Vorwarnung einfangen. Die Haupteinflußgröße ist dabei die "g-onset-rate", also die Geschwindigkeit, mit die hohe Belastung aufgebaut wird.
Bei einer sehr hohen g-onset-rate tritt die Bewußtlosigkeit ohne visuelle Symptome ein- die Grenze liegt bei etwa 5g/sec. Bei moderatem Gradienten treten Greyout und/oder Blackout auf. Ist der Anstieg der Belastung klein genug, daß die kompensierenden kardiovaskulären Reflexe voll wirksam werden, wird die g-Toleranz damit nach oben verschoben.
Neben diesen generellen Begrenzungen der menschlichen Belastbarkeit kommt es natürlich auch auf die individuelle Verfassung an. In der Regel sind kleinere, untersetzte Personen belastbarer; der Vorteil von 3 cm weniger Flüssigkeitssäule verschwindet aber schnell vor anderen Faktoren wie Kreislaufbelastbarkeit oder Fitnessstand (Sportarten, bei denen kurze, heftige Kraftanstrengungen nötig sind wie Gewichtheben oder Geräteturnen, helfen entscheidend, die g-Toleranz zu verbessern; Ausdauersportarten sind eher kontraproduktiv)